Marlene Kapitza-Meyer – ein Stoff
Dinge erzählen. Ihre Geschichten können Erinnerungen wachrufen, die nicht notwendigerweise aus persönlichem Erleben erwachsen müssen, sondern auch freie Assoziationen allgemeiner Art sein können; beides erweitert den Aussagehorizont der Dinge. Damit können sie aus ihrer Historizität in die Gegenwart transferiert und, neu betrachtet und aktiviert, zukunftstauglich werden.
Ausgangspunkt der Arbeiten von Marlene Kapitza-Meyer sind immer einfache Gegenstände, solche aus ihrem privaten Gebrauch und persönlichen Umfeld, aber auch gefundene, gesammelte Dinge. Wenn sich die Künstlerin nun über Jahre hinweg mit ein und demselben Gegenstand befasst, muss dieser schon einen spezifischen Reiz haben, wenn nicht gar von bemerkenswerter Bedeutung sein. Dies kann zum Beispiel ein wollener, blaugrundig gemusterter, gesmokter Badeanzug aus den 50er Jahren erfüllen. Anhand eines Fotos, das eine Frau in jener Badekleidung am Nordseestrand zeigt, öffnet sich ein weites Feld individueller Erinnerungen und genereller Erkenntnisse. Kapitza-Meyer schreibt die Geschichte dieses Gegenstandes fort, indem sie ihn in Skizzen, Gemälden, Fotocollagen und Objekten festhält und immer wieder neu interpretiert. Demütig und zugleich lustvoll versenkt sie sich in das Thema und erforscht es. Aufbauend auf künstlerischen Erfahrungen und breitem kunstgeschichtlichen Wissen, experimentiert sie dabei facettenreich mit einer großen Bandbreite an Stilen. In Serien variiert sie eine formale, kompositorische Idee, umkreist sie und führt sie prozesshaft aus. So akribisch wie vergnüglich spielt Kapitza-Meyer das blaugrün leuchtende Muster des Badeanzugs durch, sie verändert seine Farbe und vereinfacht die Form in die Abstraktion. Einige der mit Leinwand bespannten, quadratischen Holzplatten rufen Gedanken an historische, mit skripturalen Zeichen bedeckte Fundstücke wach. Damit ist das autobiografische Erinnern der Künstlerin unmittelbar als ein kollektives gespeichert.
Diese Art abstrakter, serieller Kunst, die verstärkt seit den Sechziger Jahren aufkam, ist in ihren Arbeiten immer mit Assoziationen an das gegenständliche Sujet angereichert. Dessen Geschichte, Material, Form und Farbe lebt auch auf in den bunten Smokarbeiten, in denen sich die originellen Punktreihen auf raffinierte Weise sogar in den reliefierten Smoksegmenten aus Baumwollstoff fortsetzen. Die Nähnadel ersetzt zuweilen sichtbar den Stift. Die Künstlerin überführt die analogen Punkte Lichtenstein’scher Prägung aber auch in digitale Rastersetzungen, womit sie Illusionen karibisch schimmernder Wasserflächen evoziert. Befreit sie die materialreiche Malfläche aus der gewohnten rechteckigen Form und rundet sie an den Seiten, kommen einerseits Wogen und Wellen ins Spiel, vor allem aber wird Körperhaftes und mit ihm die Grenze von Innen und Außen, von Haut zu Stoff, von Fläche zu Körper angesprochen.
Diese Grenzzonen reizt die Künstlerin in der Serie „Wasserkleider“ aus, in welcher sie die hautfarbenen Körpersegmente durch leuchtende Stoffteile teilweise fast gewaltsam eingrenzt. Bilder objekthafter, bewegter, zuweilen beklemmender Körpertorsi entstehen, in welchen die Körper vor neutralem Hintergrund plastisch hervortreten. Die Grenze zwischen Gegenständlichem und Abstraktem ist aufgehoben, das Haptisch-Sinnliche belebt die Figuration.
Bei aller intellektuellen Disziplin, mit welcher die Künstlerin ihre Formfindungen durchspielt, ist doch stets eine Sinnlichkeit spürbar, die die Bilder atmosphärisch auflädt und die fragilen Erinnerungen, das Vergangene des Fundstücks in die Gegenwart trägt. Konzeptuelle Vorstellungen sind mit visuellen Eindrücken verwoben. Die Gründlichkeit der Erinnerung ist eine der Seele und des Denkens. Reicht der Blick in den belebten Fotocollagen von klarem Meereswasser bis auf den Grund, so vertiefen sich mit ihm auch Gedanken und Emotionen. Letztlich bergen die Serie „Wasser, Haut, Muster, Strand“, so der Titel, und insbesondere das Gemälde „Hommage an einen Moment am Strand“ alle formalen und inhaltlichen Ebenen des Themas in sich, die serielle Darbietung verschiedener Techniken, die Bläue von Wasser und Himmel, die sandfarbene Haut, das ornamentale Muster des Badeanzugs sowie eine wehmütige Ahnung von der Schönheit der Meeresküste.
Letztere konkretisiert sich schließlich in zwei großformatigen Gemälden. Sie lassen das kleine Ursprungs-Foto auferstehen und aufblühen zu einem zeitlosen Denkmal und sie zeigen zugleich die künstlerische Komplexität von Marlene Kapitza-Meyer. Hier die fotonahe, malerische, figürliche Darstellung, dort der rieselnde Sand als zentraler Teil eines nahezu abstrakten Bildes.
Renate Puvogel